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Mary-Audrey Ramirez - Forced Amnesia: Erinnerungen an das Vergessen

Nachdem das Digitale in Form der NFT’s spätestens seit 2021 elementare Fragen in der Kunstwelt aufgeworfen hat, hat sich die Diskussion inzwischen massiv und nicht weniger grundlegend auf das Thema Künstliche Intelligenz verlegt. Die Stimmung der Kommentare liegt im Spannungsfeld von Euphorie und Weltuntergang. Ein medialer Paradigmenwechsel steht im Raum, die Furcht vor einem Ende der Kunst, wie wir sie kennen.

Da lohnt der Blick auf die Praxis, beispielsweise auf eine Künstlerin, wie Mary-Audrey Ramirez (*1990), aktuell in ihrer Heimatstadt Luxemburg ausstellt. Die Ausstellung im Casino Luxembourg ist Teil einer Kooperation mit der Kunsthalle Gießen, zwischen den Kurator:innen Kevin Muhlen hier und Nadia Ismail dort, in beiden Fällen eingebunden in eine kuratorische Programmatik, die zeitgenössische Formen des Fiktionalen und Erzählerischen Raum zur Entfaltung bietet.

Ramirez studierte von 2010 bis 2016 bei Thomas Zipp an der UdK in Berlin und nutzte ihr ISCP-Stipendium 2022 in Brooklyn um ihr Repertoire an Techniken, insbesondere Nadel und Faden, Stoff und Vinyl mit dem Text-zu-Bild-Programm StableDiffusion zu erweitern. Zudem entwickelte sie neue aus Sand und Bindemitteln gedruckte Skulpturen. Mehr noch: sie schuf mit ihrem Team, darunter ihr Partner Max Kreis, ein eigenes Computerspiel, dass ihre Geschöpfe, ihre Creatures vereint.

Insbesondere die computergenerierten „Fotografien“ ihrer Wesen repräsentieren das, was momentan vielleicht stellvertretend für KI-basierte Gestaltung steht. Die unbekannten Geschöpfe glänzen feucht, lächeln hier und da freundlich, wirken irgendwie embryonal, exoterrestrisch, dennoch höchst real, eingefasst von handgenähten, textilen Rahmen. Ramirez gelingt es hier, an ihre ehedem rein analogen Figuren anzuschließen, aber diese Kreaturen nun auf eine Weise weiterzuführen, die Niedlichkeit und Ekel komplett verschmilzt, gestaltet in einer einheitlichen Ästhetik, die sicher kein Zufall ist oder der Laune eines Algorithmus entsprungen ist. Die Künstlerin und bekennende Gamerin steuert gezielt auf die Frage nach den Normen der Ästhetik und des Gefallens, jenseits der üblichen Kategorien menschlichen Wohlgefallens. Sie sind das Ergebnis intensiver Arbeit an den Sprachbefehlen, die Grundlage der „lernenden Maschine“ war. Das mag man als ideosynkratischen Spleen einer SFX-freundlichen Fantastin begreifen, mit Berührungspunkten zu Ridley Scotts „Alien“ oder David Cronenbergs „eXistenZ“, aber Gesamtwirkung besitzt fraglos eine in sich schlüssige Handschrift einer echten Vision, die weit mehr leistet, als technoide Effekthascherei.

Natürlich wirkt die konkrete Begegnung mit den Objekten, die Materialität der Ausbelichtungen, die Kombination mit Skulpturenensembles der Künstlerin, der Duft von PVC. Es zählen die Beleuchtung, mal Rot und mal Blau, der Parcours als Ergebnis des Einbaus von temporären Wänden im sonst offenen Saal, die letztlich KI-basierte Arbeiten in den Kanon des bisherigen nahtlos integrieren. So zählt letztlich wieder die Frage, hält das Ergebnis formal und inhaltlich stand und nicht: womit wurde gearbeitet. Aber im Vergleich steht die intensive Arbeit an ihren Geschöpfen aus Vinyl, den gedruckten Skulpturen, der Konzeptionierung der Allansichtigkeit der ursprünglich zweidimensionalen Creatures in nichts nach. Das Ergebnis ist ein Neues, ein Fremdes, das ebenso Furcht, wie Neugierde wecken, immerhin ist Mary-Audrey Ramirez nicht so naiv, die Existenz der Gefahr an sich zu negieren, in Form des Basilisken, einer Figur ihres Kosmos. Sie reflektiert mutmaßlich eine Endlichkeit, innerhalb jeglicher Medialität und eben auch der KI, dauert die Reise nur lang genug an. Gegenwart gibt es immer noch mehr Anlass vor dem Menschen zu warnen, als vor der KI und im besten Fall hat auch die Menschheit en gros ein „Recht auf Vergessen“.

Mehr Texte von Thomas W. Kuhn

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Mary-Audrey Ramirez - Forced Amnesia
03.02 - 28.04.2024

Casino Luxembourg - Forum d'art contemporain
2240 Luxembourg, 41, rue Notre-Dame
Tel: +352 22 50 45, Fax: +352 22 95 95
Email: info@casino-luxembourg.lu
http://www.casino-luxembourg.lu
Öffnungszeiten: Mo, Mi, Do, Sa, So 11-9, Do 11-21 h


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